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Modellierung und Strukturierung von Finanzierungsrisiken

Ein Beitrag von Dr. Stefan Buske, Reimund Jung und Martin Wischner, erschienen im Privatbahnmagazin 4.2020 (Seite 11-15)

Regelmäßig ergibt sich bei der Strukturierung der Finanzierung neuartiger, innovativer und noch im Entwicklungsprozess befindlicher Schienenfahrzeuge für die beteiligten Parteien – Besteller, Hersteller, Finanzierer – die Frage nach einer adäquaten Verteilung von Finanzierungsrisiken, die im Zuge einer Zinssicherung in der Entwicklungs- und Herstellungsphase auftreten können.

Zulassungs- und Technologierisiko

Während der Entwicklungs- und Herstellungsphase neuer Fahrzeuge und bis zur Zulassung durch die Aufsichtsbehörde sowie deren Abnahme durch den Besteller, besteht das Risiko, dass die Fahrzeuge letztlich entweder nicht oder nicht rechtzeitig zugelassen (Zulassungsrisiko) oder im Rahmen eines vereinbarten Testbetriebes Testfahrzeuge vereinbarte Fahrzeugspezifikationen und Leistungsdaten nicht erfüllen (Technologierisiko) und deshalb endgültig nicht abgenommen werden. Bei neuen Fahrzeugen, die noch über keine type authorization verfügen, wird deshalb im Liefervertrag für diese – gegebenenfalls wenig wahrscheinlichen, aber doch nicht auszuschließenden – Fälle ein Sonderkündigungsrecht des Bestellers zu vereinbaren sein, dessen Rechtsfolge die Rückabwicklung des Liefervertrages ist.

Grundsätzlich muss bei der Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien der marktüblichen Systematik gefolgt werden, dass immer die Partei ein Risiko trägt, die es am ehesten beeinflussen bzw. steuern kann. Hiernach wird immer der Hersteller das Risiko einer nicht vereinbarungsgemäß fristgerechten Lieferung – und damit auch die darin enthaltenen, vorgenannten Risiken (Zulassung / Technologie) tragen.

Dieser grundsätzlichen Systematik folgend müssen auch die Risiken im Rahmen der mit der Herstellung eng verbundenen Finanzierungseite adäquat verteilt und gesteuert werden. Das vor allem bei langen Herstellungsphasen und der damit einhergehenden Thematik der i.d.R. sinnvollen Absicherung gegen Risiken aus Veränderungen an den Zins- und Kapitalmärkten (sog. Zinsänderungsrisiken).

Zinsfixing – Besteller- versus Herstellerinteressen

Aus Finanzierersicht unterscheidet man bei entsprechenden Projekten die sog. Bauzeitfinanzierung während der Entwicklungs- und Herstellungsphase, die mit Abnahme der Fahrzeuge endet und die Langfristfinanzierung in der Betriebsphase (d.h. nach Abnahme der Fahrzeuge).

Die Bauzeitfinanzierung wird typischerweise kurzfristig auf variabler Zinsbasis refinanziert (regelmäßig 3- oder 6-Monats EURIBOR), wobei der hier anfallende Zinsaufwand sowie anfallende Bereitstellungsprovisionen entweder bereits durch den Besteller getragen oder, alternativ, kapitalisiert und in die sich anschließende Langfristfinanzierung überführt wird.

Für die Langfristfinanzierung in der Betriebsphase wird i.d.R. ebenfalls vertraglich ein Referenzzins definiert (z.B. der tilgungsgewichtete Einstand auf Basis des EURIRS-Midswap), auf dessen Grundlage zu einem späteren Zeitpunkt die Zinsfestschreibung (das sog. „Zinsfixing“) erfolgen kann. Den Zeitpunkt der Zinsfestschreibung für die Langfristfinanzierung – und damit der Absicherung gegen Zinsänderungsrisiken - kann der Besteller grundsätzlich frei wählen und wird hierbei immer genau die Situation an den Zins- und Kapitalmärkten beobachten. In Abhängigkeit hiervon kann eine vorzeitige Zinssicherung für die Langfristfinanzierung schon während der Herstellungsphase (d.h. ein sog. „Forward-Fixing“) angeraten sein.

Bei einem Forward-Fixing müssen immer die hierbei für den Besteller entstehenden Mehrkosten bei der Langfristfinanzierung („Forward-Zinsaufschlag“) im Verhältnis zu dem hierdurch mitigierten Zinsänderungsrisiko betrachtet werden. Bei langen Forward-Zeiträumen (d.h. Zinssicherung für eine Auszahlung der Langfristfinanzierung in z.B. in 3 Jahren) und „steilen Zinsstrukturkurven“, d.h. einem großen Unterschied zwischen den Marktkonditionen v.a. für kurze Laufzeiten (1-5 Jahre) ist mit höheren Forward-Aufschlägen zu rechen.

Bei einer vorzeitigen Zinssicherung im Wege eines Forward-Fixings wird zwar das Zinsänderungsrisiko für die Langfristfinanzierung ausgeschlossen, es entsteht aber gleichzeitig auch das Risiko, dass die Finanzierung nicht an dem dafür vorgesehen Stichtag und / oder nicht mit dem fixierten bzw. eingedeckten Volumen abgerufen werden kann. Das ist immer dann der Fall, wenn es bei der Herstellung der Fahrzeuge (unvorhergesehene) Verzögerungen gibt und ein Eintritt in die Betriebsphase / Langfristfinanzierung noch nicht möglich ist.

In diesem Fall entsteht ein Zinsschaden, der seitens der finanzierenden Banken als sog. „Bereitstellungszinsen“ (bei Verzögerungen) oder als „Nichtabnahmeschaden“ bei (teilweiser) Auflösung der Finanzierung in Rechnung gestellt wird. Ein Nichtabnahmeschaden besteht hierbei üblicherweise aus dem sog. Refinanzierungsschaden der Banken, die korrespondierend zur Auflösung des Darlehens auch das eigene Funding auflösen müssen, sowie dem Margenschaden der Finanziers (jedoch bereinigt um den Risikoanteil).

Auch wenn sowohl Hersteller als auch Besteller jeweils an Risikominimierung interessiert sind, zeigt sich an dieser Stelle sehr deutlich ein Spannungsfeld mit wechselseitig divergierenden Interessenslagen. Der Besteller wird beim gegenwärtig niedrigen Zinsumfeld zeitnah Zinsänderungsrisiken ausschließen und deshalb die Zinsen der Langfristfinanzierung bereits in der Herstellungsphase fixieren wollen. Währenddessen ist der Hersteller zwar nicht Partei der Finanzierungsvereinbarung, will aber aufgrund der Zuweisung möglicher Bereitstellungszinsen bzw. eines Nichtabnahmeschadens bei Eintritt der eingangs definierten Szenarien die Eindeckung der Langfristfinanzierung zwecks Risikominimierung im Herstellungs- und Lieferprozess möglichst an dessen Ende verlagern. Denn je eher die Fixierung des Zinses der Langfristfinanzierung erfolgt, desto höher ist das damit einhergehende Risiko von Zinsschäden. Je kürzer der sog. „Forwardzeitraum“ bis zur geplanten Abnahme der Langfristfinanzierung, desto weniger Veränderungen an den Zinsmärkten wird es geben, die zu Zinsschäden führen können. Zudem können in einer schon fortgeschrittenen Phase des Herstellungsprozesses eher mögliche Lieferverzögerungen besser prognostiziert und für die Finanzierungsseite (insbes. Abnahmezeitpunkt der Langfristfinanzierung) berücksichtigt werden.

Idealerweise wird aus Sicht des Herstellers erst kurz vor oder mit Abnahme der Fahrzeuge oder, bei großvolumigen Bestellungen, der Fahrzeugtranche fixiert, weil ein Zinsschaden dann quasi ausgeschlossen ist.

Risikoverteilung zwischen Hersteller und Besteller

Wie bereits ausgeführt, wird der Besteller in vielen Fällen ein hohes Interesse an einer zeitnahen Absicherung im Wege einer vorzeitigen Zinsfixierung für die Langfristfinanzierung haben. Je weiter indes, wie oben gezeigt, ein solches Fixing vor der geplanten Abnahme der Fahrzeuge geschieht, ergeben sich bei Realisierung des Zulassungs- oder des Technologierisikos wegen Verbindung von hohem Finanzierungsvolumen einerseits und langer Laufzeit andererseits, substantielle wirtschaftliche Risiken, die zwar dem Hersteller zugewiesen werden, diesen jedoch bei Eintritt unangemessen hart treffen oder gar überfordern können.

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Demnach ist die unter dem Liefervertrag vereinbarte Risikozuweisung zwar im Kontext der allgemeinen Grundsätze der Risikoverteilung bzw. Vertragsarithmetik folgerichtig, aber für den Hersteller und damit letztlich auch für den Besteller unbefriedigend. Denn in der Praxis wird davon auszugehen sein, dass bei Eintritt eines entsprechenden, unwahrscheinlichen Schadensszenarios der Hersteller als Schuldner des Ersatzanspruchs unter dem Liefervertrag diesen zunächst zu limitieren versuchen wird oder hierdurch selbst gefährdet wird (weshalb sich diese Risiken im schlimmsten Fall auch gegen den Besteller richten könnten).


An dieser Stelle wird klar, dass eine digitale Risikoverteilung und –zuweisung hier zu keinem guten Gesamtergebnis führen kann. Vielmehr müssen die Interessenspositionen des Bestellers nach einer bestmöglichen Absicherung von Zinsänderungsrisiken unter Berücksichtigung der hierdurch entstehenden Zusatzkosten und die des Herstellers nach einer möglichst weitgehenden Vermeidung von Folgeschäden im Fall einer verspäteten bzw. Nichtlieferung – vor allem wegen der nur schwer zu beeinflussenden Realisierung von Zulassungs- und Technologierisiken – mittels einer innovativen Risikosteuerung und entsprechenden Vertragsgestaltungen im Einzelfall berücksichtigt werden.

Vor allem sollte bei der Strukturierung eines komplexen Projektes - unabhängig von der Frage der Risikoverteilung und Risikosteuerung – ein besonderes Augenmerk auf die optimale Nutzung aller Möglichkeiten zur Risikominimierung gelegt werden. Bei der Herstellung von Fahrzeugen mit zeitlich (deutlich) unterschiedlichen Lieferzeitpunkten sollte in solchen Fällen immer über eine entsprechende Tranchierung der Langfristfinanzierung nachgedacht werden.

Risikomanagement durch Multi-Partite-Agreement

Um die Möglichkeit einer – wie dargestellt sehr sinnvollen - interessens- und strukturgerechten Risikosteuerung zu schaffen, wird die Vertragsdokumentation strukturell um ein Multi-Partite-Agreement (MPA) zwischen Finanzierer(n), gegebenenfalls Leasinggeber, Besteller und Hersteller zu ergänzen sein. Die Funktion dieses MPA ist es, die wechselseitigen Interessen der Transaktionsbeteiligten auszugleichen, indem die Forward-Fixingmechanik über Besteller und Finanzierer hinaus auf den Hersteller erstreckt und dieser insoweit in die Fixingabrede integriert wird.

Hierzu vereinbaren die Parteien laufzeit- und/oder tranchenbezogen zunächst einen – überhalb  des aktuellen Marktzinssatz liegenden – Referenzzinssatz, ab dem der Besteller berechtigt ist, die Zinssicherung der Langfristfinanzierung mit Zustimmung des Herstellers einzugehen. Um wiederum das Risiko des Herstellers nach oben zu begrenzen, wird zugleich ein maximaler Marktzins vereinbart, bis zu dem die Ersatzpflicht besteht.

Stimmt der Hersteller einem Forward-Fixingverlangen des Bestellers   zu, erfolgt das Zinsfixing, wie vom Besteller verlangt. Stimmt der Hersteller hingegen nicht zu, ist der Besteller berechtigt, vom Liefervertrag zurückzutreten. Hierdurch wird erreicht, dass im Fall eines (deutlichen) Anstiegs der Zinskonditionen der Besteller sein Interesse nach Zinsabsicherung durchsetzen kann. Das aber nur nach Abstimmung mit dem Hersteller und ggf. Anpassung der Parameter gem. dem dann bekannten Status der Herstellung der Fahrzeuge.

Ist das Zinsfixing mit Zustimmung des Herstellers erfolgt und kommt dieser seiner Lieferverpflichtung nicht wie vereinbart nach, ist er gegenüber den Finanzierer(n) verpflichtet, mit schuldbefreiender Wirkung für den Besteller den hieraus entstehenden Schaden aus der zeitlich verzögerten Abnahme bzw. der der erforderlich werdenden Auflösung der Finanzierung bzw. Festzinsvereinbarung, die im MPV jeweils definiert werden, zu ersetzen.

Im Falle der Vornahme eines durch den Hersteller genehmigten Zinsfixings hat dieser die Möglichkeit, sich durch Abschluss eines korrespondierenden  Zinssicherungsgeschäftes abzusichern.

Die vorstehend vereinfacht beschriebene Systematik – die vertraglich eine fein justierte Abstimmungsmechanik sowie Pflichtenzuweisung voraussetzt – erlaubt die Modellierung und das Management auch großvolumiger Finanzierungen durch Refinanzierungsoptimierung bei gleichzeitiger Risikominimierung im Interesse aller beteiligten Vertragspartner.

Es muss in diesem Kontext aber auch konstatiert werden, dass bei neuen, nicht zugelassenen und/oder mit neuartiger Technologie versehenen Fahrzeugen – aufgrund der damit einhergehenden Unwägbarkeiten – auch bei Verwendung einer interessens- und strukturadäquaten Risikoverteilung via MPA – tendenziell eine Sicherung der Konditionen der Langfristfinanzierung zu einem frühen Zeitpunkt in der Herstellungsphase nicht in jedem Fall angeraten ist.


Die Autoren:
Dr. Stefan Buske ist Rechtsanwalt und Partner bei Bub Memminger & Partner, München; Reimund Jung ist Vertriebsleiter Transport & Logistik DAL Deutsche Anlagen-Leasing GmbH & Co. KG, Mainz und Martin Wischner ist Vorstand der Havelländische Eisenbahn AG, Berlin.